WIEDER GEBLITZT? Stadt Backnang nutzt zweifelhaftes Messsystem!

Geschwindigkeitsmessverfahren mit Messgerät Leivtec XV 3, welches die Stadt Backnang zu Geschwindigkeitsmessungen verwendet, ist höchst bedenklich.

Zunächst teilen wir mit, dass wir jedem Verkehrsteilnehmer empfehlen, die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten. Tatsache ist, dass die Stadt Backnang Geschwindigkeitsmessungen auf dem Gebiet der vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft durchführt und hierbei unter anderem das Messgerät Leivtec XV 3 verwendet. Bei dem verwendeten Messgerät ist eine neue Software-Version, Leivtec 2.0 aufgespielt. Das Messgerät funktioniert dergestalt, dass der Sensor infrarote Lichtimpulse aussendet, die am gemessenen Fahrzeug reflektiert werden und nach einer von der Entfernung abhängigen Zeit wieder am Sensor eintreffen. Die Laufzeit der Lichtimpulse wird gemessen. Mithilfe der bekannten Lichtgeschwindigkeit wird daraus die Entfernung berechnet. Die Folge von Entfernungen wird in kurzen, gleichmäßigen Zeitabständen gemessen. Aus der Differenzverringerung während der Messzeit ergibt sich die Geschwindigkeit des gemessenen Fahrzeugs (vgl. auch AG Gelnhausen, Urteil vom 06. Juli 2012, AZ 44 OWi – 2575 Js 6195/12, Burhoff Handbuch für das straßenverkiehrsrechtliche OWi Verfahren, Rn 2011). Während einer Messung werden bis zu 150 Entfernungsmesswerte als Ergebnis von Laserpuls-Laufzeitmessungen berechnet.

Im Gegensatz zur Version 1.0, bei welcher sämtliche Messpunkte gespeichert wurden, werden durch die Version 2.0 nur die Werte „Messung Start Distanz“, „Messung Ende Distanz“, „Auswertung Start Distanz“ und „Auswerte Ende Distanz“ sowie die „Auswerte Zeit“ gespeichert. Bei der Version 1.0 waren während des Messverlaufs sämtliche vom Gerät ermittelten Messwerte gespeichert worden, durch welche sich eine Plausibilitätsprüfung der angezeigten Geschwindigkeit durchführen ließ. Nach der Softwareerneuerung ist eine solche nunmehr nicht möglich.

Im Gerichtsverfahren AG Backnang AZ 6 OWi 66 Js 112120/17 hat dies der Gerichtssachverständige bestätigt. Dies auf meine Nachfrage.

Das Amtsgericht St. Ingberg hat in seiner Entscheidung vom 26.04.2017, AZ 2 OWi 379/16 daraufhin den Betroffenen freigesprochen. Das Amtsgericht ist zu der Auffassung gekommen, dass mit der Änderung der Software-Version nunmehr eine Überprüfung der Plausibilität der Messergebnisse und der Messung nicht mehr durchgeführt werden können. So seien bei der Vorgängerversion Leivtec 1.0 nicht nur die Messdistanz , sowie Start, Endzeitpunkt und Messzeit angezeigt worden, sondern weitere Daten, nämlich sämtliche im Verlauf der Messung erhobenen Messwerte. Mit diesen Daten konnte anhand einer Regressionsgruppe eine nachvollziehbare Plausibilitätsprüfung der vom Messgerät angezeigten Geschwindigkeit vorgenommen werden. Dabei sei es – nach Angaben des Sachverständigen – in 2% der Fälle zu Abweichungen von 1 – 2 km zugunsten des Betroffenen im Vergleich mit dem angezeigten Messgerät gekommen. In der Softwareversion 2.0 werden diese zusätzlichen Daten nicht mehr gespeichert, sondern mit Nullen überschrieben, sodass eine sogenannte Regressionsgruppe anhand derer sich durch Auswertung die einzelnen Messpunkte die Geschwindigkeitsermittlungen in einer Kurvenbildung überprüfen ließe, n i c h t mehr gebildet werden kann und eine Plausibilitätsprüfung ist nicht mehr möglich.

Folgerichtig hat das Amtsgericht St. Ingbert den Betroffenen in seinem Verfahren freigesprochen, da die tatgegenständliche Messung mangels hinreichender Überprüfbarkeit und dem daraus folgenden Verstoß gegen das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verstößt. Durch die Löschung der Rohmessdaten ist es dem Betroffenen also nicht mehr möglich aufzuzeigen, dass das Leivtec XV 3 Messgerät fehlerhaft misst. Hierzu hat das Amtsgericht St. Ingbert folgendes festgestellt:

  1. Aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Recht auf ein faires Verfahren aus Artikel 6 Menschenrechtskonvention folgt im Fall der Annahme eines standarisierten Messverfahrens, dass der Betroffene – wenn ihm schon auferlegt wird, konkrete Messfehler vorzutragen, auch in der Lage versetzt werden muss, genau dies tun zu können. Um eine technische Messung sinnvoll angreifen und mögliche Fehler aufzuzeigen zu können, bedarf es daher rein denklogisch schon der Überprüfungsmöglichkeit der Messdaten.
  2. Hierzu bedarf der Betroffene aber zwingend Einsicht in die Rohmessdaten, um die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Andernfalls befände sich der Betroffene in einem nicht aufzulösenden Teufelskreis, da er konkrete Umstände für eine fehlerhafte Messung vortragen zu müssen ohne die Messung – insbesondere die Messdaten – überhaupt zu kennen, die ihm nach Ansicht des erkennenden Gerichts erst in die Lage versetzen können konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vortragen zu können.

Das Amtsgericht Backnang beschäftigt sich derzeit im oben genannten Verfahren mit genau dieser Fragestellung. Das Amtsgericht Backnang wird am Termin der Fortsetzung hierüber befinden.

Gunnar Stuhlmann
Rechtsanwalt